Am Ende von Sophie Passmanns neuem Buch „Komplett Gänsehaut“ gibt es einige freie weiße Seiten. Es könnte Raum für Notizen sein, aber ich frage mich am Ende der 165 Seiten Text was ich da notieren sollte. Damit könnte schon fast alles gesagt sein. Nur so einfach ist es eben nicht, wenn man die 27 schon altersmäßig überschritten hat.
Zu „Alte weiße Männer“ hatte ich einen bissigen Text für diesen Blog geschrieben und dann nicht veröffentlicht, denn trotz aller Kritik fand ich das Buch gelungen. Als alter weißer Mann musste ich es kritisch sehen und dann fehlte mir trotzdem die Lust und die Zeit alles nochmal auszuformulieren, mich in die Biografien der Männer reinzuarbeiten, ich wollte stattdessen lieber einen schönen Wein trinken und mich über Gendersterne aufregen. Habe ich dann auch.
Kritik ist nie neidlos
Jetzt in den Tagen der Inzidenz-Pandemie fand ich die Zeit ihr neues Buch recht flott zu lesen, und mir auch einige Gedanken zu den Worten der Autorin zu machen. Daran möchte ich euch gerne teilhaben lassen. Immer in dem Bewusstsein wonach jede Kritik an einem Autor auch immer der Neid ist, nicht selbst schon einmal etwas in die Regale eines Buchladens gebracht zu haben.
Abschiedssex
Am Anfang packte mich Begeisterung für das was ich da lesen konnte. Die Passage mit den Europaletten und den Matratzen erinnerten mich an eine Nacht in Berlin und einen morgendlichen Kaffee auf der Sonnenallee. Berliner Luft schnuppern ist wunderbar, nur mit dem Stuck und den Altbauwohnungen da bin ich noch nicht auf Augenhöhe mit der Autorin, aber ansonsten Berlin ick liebe Dir! Da fühlte sich das Buch ganz wunderbar an.
Dann aber hörte mit der Matratzenpassage das positiv gänsehäutige des Buchs auf. Es fühlt sich fast wie ein One-Night-Stand an, der leidlich ok gewesen ist, und den man versehentlich dann doch geheiratet hat, diese Entscheidung nur irgendwann als nicht so gelungen empfand. Bei „Komplett Gänsehaut“ trat dieser Zeitpunkt ungefähr zur Hälfte des Lesestoffs ein. Der richtige Zeitpunkt für eine Trennung (Sophie Passmann empfiehlt nicht lesenswerte Bücher zur Seite zu legen), Weglegen konnte ich das Buch dann doch nicht. Es weiterzulesen fühlte sich an wie Abschiedssex, an den man später nicht erinnert werden möchte.
Pizzen mit Fior di Latte
Irgendwo im Internet habe ich gelesen ihr Buch sei so eine schöne Selbstkritik an ihrer Generation. Da wäre ich als Generationsangehöriger aber ziemlich pissig, wenn mir eine Medienschaffende aus einer Großstadtaltbauwohnung diese Kritik vor die Füße knallt. Nur weil Frau Passmann offenbar eine gehörige Portion Selbsthass in sich trägt, weil sie so schön klischeehaft lebt und sich über den Zeitgeist ihrer Umgebung (Pizzen mit Fior di Latte) so wunderbar aufregen kann, dass es schon fast wieder lustig ist, weil man ja eigentlich ein Abziehbild seines eigenen Ich ist, ist es keine gelungene Kritik an einer ganzen Generation. Es ist viel mehr eine berechtigte Kritik an denjenigen aus dieser Generation die nicht verstanden haben, dass die Welt nur vom Instagram anschauen keine bessere wird, mag man auch noch so oft in der eigenen Bubble davon überzeugt sein.
Die Nazis
Irgendwas im Buch ist mit Risotto. Plattenspielern und Kühlschränken, und dann sind da überall Nazis. Und an einem See stehen ist auch noch etwas auf der Bucket List.
Nazis. Die sind überall, beim Erbe, in der Nachbarschaft und im Weinladen. Mir ist das zu einfach! Es ist vielleicht das Privileg einer Generation die sich für besonders weltgerecht und meinungsbehauptend ansieht alles als nazihaft abzutun was nicht in das eigene Weltbild passt. Manche Wellem muss man eben reiten, aber das ist dann keine eigene Meinung, es ist mit schwimmen im Einheitsbrei. Zu dem wird übrigens Risotto, wenn frau sich das Geld für den richtigen Reis spart, aber mit 27 hat man noch Träume und kann noch einiges lernen und das ist die Hoffnung, die einem aus dem Buch entgegenschlägt, zwischen der ganzen Kritik, dem Selbsthass, der verzweifelten Ironie und dem netten Nachbarn mit dem Wortsuchspiel, dass das Leben mit 27 eben nicht endet, sondern es noch viel zu entdecken gibt.
Noch ein Satz zum Schluß; ein Lob: Das Buch hat ein Lesebändchen. Toll!
No Comments