Während sich Martin Suter und Benjamin von Stuckrad-Barre gerade mit teilweise etwas bleiernen Unterhaltungen in ihrem Buch „Alle sind so ernst geworden“ über das hier und jetzt ihres eigenen Seins auslassen und die Fanbase der beiden Kulturschaffenden ohne Coronasorgen vollkommen aus dem Häuschen ist, hat die französische Schriftstellerin Emma Becker das eigentlich wirklich spannende Buch des Jahres 2020 in die Buchhandlungen gebracht (in Frankreich schon in 2019) und darüber möchte ich ein paar Worte verlieren und dies geht nicht, ohne über Bordelle zu reden.
Bordell bedeutet Prostitution und dieses Thema ist heikel, denn aktuell ist das älteste Gewerbe der Welt, und in Deutschland legale und steuerpflichtige Business mit dem bezahlten Sex, nicht gerade auf der Positivliste der Debattenkulturtürsteher.
Emma Becker schildert in ihrem Roman La Maison ihr Leben als Prostituierte.
Ich erinnere mich noch gut an einen Abend im Oktober, ich genoss mit einer guten Freundin ein Glas Weißwein auf dem Balkon, der Klimawandel schenkte uns allen in diesem Jahr glücklicherweise einen wirklich traumhaften Goldenen Oktober, und ich erzählte ihr von diesem Buch und meinte es sei fast nicht vorstellbar, dass die Autorin so detailgetreu über ein Bordell berichten könne, ohne auch dort gearbeitet zu haben.
Kleine „how i met your mother“ – Unterbrechung….“Warum ich das beurteilen kann ist eine andere Geschichte und dazu kommen wir später“
Nach dem dritten Gläschen Wein hatten wir dann recherchiert, dass Emma Becker nicht nur darüber geschrieben hat, sondern sich wirklich als Hure ihren Unterhalt in Berlin verdient hatte. An dieser Stelle wurde es spannend und im Gegensatz zum hochtrabenden, teilweise ins grotesk narzisstische abdriftenden, Diskurs der Herren Suter und BvSB, auch noch interessant.
Da ich an dieser Stelle die Fragezeichen in den Gesichtern meiner Leser (und auch in den Gesichtern der Innen) sehe, möchte ich eine Zusammenfassung von La Maison liefern.
Eine französische Autorin mir deutschen Wurzeln (Oma) zieht es nach Berlin um über das in Deutschland legalisierte Geschäft mit dem Paid Sex zu schreiben: Dies muss sie aus Berlin machen, da in Frankreich andere Gesetze gelten und dort zwar auch ordentlich Geld gegen Spaß verrechnet wird, aber eben illegal.
Emma beginnt in einem weniger guten Etablissement ihre Tätigkeit als Prostituierte und lernt sehr schnell, was es heißt in einem nicht besonders sicheren Paid Sex Umfeld zu arbeiten. Sie wechselt die Wirkungsstätte und arbeitet über fast zwei Jahre im La Maison. Freiwillig, ungezwungen, gesund und meistens munter ist sie die Geliebte auf Zeit für Männer aus allen Schichten und mit fast allen Wünschen. Am Ende hat sie den Stoff für ein wirklich gutes Buch zusammen und auch noch Geld verdient.
Damit ist der Klappentext des Romans wiedergegeben, aber es lohnt sich das ganze Buch zu lesen, vor allem für alle die Zwangsprostitution und das Elend von Frauen vor Augen haben, wenn es um Paid Sex geht.
Emma Becker ist es gelungen, ein unterhaltsames und durchaus kritisches Buch zum Thema Prostitution zu schreiben. Eines für das sie sich verteidigen musste, weil natürlich jede halbwegs positive Beschreibung eines Lebens als Prostituierte nicht in den „Common sense“ der Gegner dieses Berufs passt. Dass Frauen tatsächlich freiwillig und selbstbestimmt diesem Job nachgehen kann Emma Becker glaubhaft in ihrem Roman schildern.
An dieser Stelle muss ich zu Martin Suter zurückkommen, auch in seinem neuen Werk, gemeinsam mit BvSB, geht es unterhalb der Gürtellinie zur Sache, aber nicht so tiefgreifend wie bei Emma Becker, denn er und sein Sidekick kommen über die Farbe von Badeshorts, die sicherlich manche Liebesdienerin zur Erheiterung gebracht hätten, nicht hinaus. So wie das gesamte Buch, auf der Umschlagrückseite von Kolleginnen und Kollegen der Beletage der progressiven und instagramnutzenden Kunstszene gefeiert, eigentlich für mich eher wie eine Art Künstlerunterstützungsfonds in Buchform daherkommt und mich nicht wirklich begeistern konnte.
Zurück zum Puff, denn hier geht es Seite um Seite zur Sache und ans Eingemachte, denn mit sechs Männer am Tag ins Bett gehen ist eher schwere Arbeit, denn dauerhaftes Vergnügen, auch wenn dieses nicht zu kurz kommt.
Im Gegensatz zum Hochzeitszimmer im Suterschen Podcasttranskript, sind die Betten im La Maison für Akkordarbeit ausgelegt und wir dürfen Emma Becker und ihre Kunden dabei in charmanten und teilweise liebevollen Situationsbeschreibungen begleiten. Manchmal macht sich ein Gefühl von Fremdscham breit, manchmal möchte man den Männern die sich ihr hingeben zurufen sich möglichst schnell vom Acker zu machen und nicht noch weitere 200 Euro zu investieren.
Während sich Suter und BvSB über den Anzug als Kleidungsstück (damit macht man nie was falsch) auslassen ist es bei La Maison die Wahl der richtigen Unterwäsche die über Erfolg oder schlechten Sex entscheidet. Unterschiedlicher können zwei Bücher nicht sein, denn die einen haben das Geld um sich Zeit fürs La Maison zu nehmen und die anderen Protagonistinnen müssen auf eben diese Klientel warten. Welches Buch mehr Realismus und den Schweiß harter Arbeit atmet muss ich wohl kaum erklären.
Gelesen haben sollte man beide Bücher, denn sie gehören zu dem was im Coronajahr 2020 ein Muss auf der Bücherliste ist.
Emma Becker im Interview beim NDR und auf der Frankfurter Buchmesse.
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