Ist der Protagonist von Michel Houellebecqs neuem Roman »Serotonin« und das hat Konsequenzen.
Florent-Claude Labrouste hasst seinen Namen, seinen Job, die Welt in der er lebt und er will ungestört rauchen. Er ist der lebende Protest in einer Zeit in der sich die politische Korrektheit bis in die kleinste Winkelspitze unseres Lebens vorarbeitet und jegliche Form des mündigen Bürgertums unter sich begräbt oder es im Geschlechterwahnsinn und der Debatte um die korrekte Anzahl der benötigten geschlechtsneutralen Toiletten in den Wahnsinn treibt.
Eine Wolke aus dichter Lebensverzweiflung
Wie viele der Figuren in seinen Romanen ist auch Florent-Claude Labrouste ein Mann am Scheideweg; der Job öde, der Sex ohne Kick, die Depression der Dauerzustand der Seele und der Körper an der Schwelle zur 50 im freien Verfall. Nur ein gut gefülltes Bankkonto und seine tägliche Dosis Antidepressivum lassen diesen Typus des Mitteleuropäers noch überleben. In Unterwerfung (ARD Mediathek) ist es der politische und soziale Endkampf des christlichen Abendlands gegen den, aus dem laizistisch lebenden Frankreich, herauswuchernden Islam der uns als Leser begleitet. In »Serotonin« kämpft der houellebecqsche Prototyp des verzweifelten und ständig über seine Libido nachdenkende Mann gegen alles was seine Erinnerung an die besseren früheren Tage eintrübt und nun hinter einer Wolke aus dichter Lebensverzweiflung zu verschwinden droht.
Getrieben von der nahezu unerträglichen Unzufriedenheit des Protagonisten Labrouste lullt einen die Handlung mit selbstsicherer Erzählerhand, so als ob man gerade selbst auf Pille ist, ein.
Seine Welt zerbröselt von der ersten bis zur letzten Seite, aber diesen Prozess des fortschreitenden Niedergangs hat der Autor so brilliant, und dabei schon fast mit einer beunruhigenden Trivialität, geschildert, man muss diesen Roman verschlingen.
Ein Feuerwerk der Ressentiments
Auf eine infame und erschreckende Weise wird über Holländer und Deutsche, die Japaner bekommen ihr besonderes Stückchen Rassismus ab, ein brokatdeckenähnlicher Umhang aus Klischees ausgebreitet, für jeden rechtsnational gesinnten Franzosen ein Feuerwerk der Ressentiments. Im Gipfelsturm des nationalen Überschwangs mutiert der Nazideutsche (Spoiler) zum pädophilen Vogelfreund den sich Houellebecqs Romanfigur in alkoholgeschwängerten Träumen in einen von Ratten bewohnten Folterkeller phantasiert.
Zwischen, vom Nebel der Vergangenheit verklärten Blicken auf seine Ex-Freundinnen und dem Hass auf seine aktuelle Ex, reist der Landwirtschaftsexperte durch den nordwestlichen Teil seiner Heimat und visualisiert dabei die Korruptheit der EU-Landwirtschaftspolitik und den Niedergang der staatlichen Eisenbahngesellschaft (SNCF).
Lust auf Weltuntergang
Wem gerade im deutschen Winter nach ein wenig Weltuntergang, der belanglosen Schilderung von sexuellen Abhandlungen jeglicher Art und einem ernüchternden Blick auf das von Houellebecq gezeichnete Bild Europas ist, der sollte »Serotonin« lesen. Nichts könnte einem einen trüben Tag schöner machen als der Gedanke es könnte dort draußen jemanden so gehen wie dem armen Florent-Claude Labrouste, während man sich gerade selbst am vom russischen Gas beheizten Ofen seine Füße wärmt.
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Bild: Adobe Stock
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