Wenn ein Mensch jemals Trendsetter gewesen ist, dann ist es jener entfernter Bekannter, der ohne es zu ahnen schon vor mehr als zehn Jahren für das aktuelle Paarungsverhalten von Großstadtmenschen Pate stand.
Eine mir zu dieser Zeit nahe stehende Dame kommentierte sein Paarungsverhalten mit folgendem Zitat: „Den Namen seiner aktuellen Ische merke ich mir erst gar nicht“. Es umschrieb damals wohin Tinder & Co. sich entwickeln sollten; einem Marktplatz der Unverbindlichkeit.
Modelpromoter und Starfotograf
Er machte einen auf Modelpromoter und Starfotograf. Inklusive billig abgestaubter Sportwagen und einer maroden Hütte im Süden beeindruckte er Frauen und legte sie reihenweise in seinem von Rotlicht durchflutetem Hobbyraum flach. Zumindest in seiner Phantasie.
Meist wurde aus den feuchten Träumen des Möchtegernplayboys nur eine Runde Memory mit Freunden oder ein Gemüseshooting mit den angesagten Ladies.
Was blieb, und ein Credo für ihn und eine ganze Generation wurde, ist die Unverbindlichkeit des Seins.
Am berühmten Ende des Tages sehnte auch er sich nur nach der einen großen Liebe. Die große Liebe, die ihm vor langer Zeit, durch die vom nach rechts swipen, verhornhauten Finger flutschte.
Die Generation „leg mich flach, aber rühr mich nicht an“
Es ging nur noch darum die next best possibility abzuchecken und sie dann mit der most next best possibility auszutauschen, außer es gab die klare Chance auf den Austausch von körperlicher Zweisamkeit. „Wer’s mir heute kann besorgen, den verschieb´ ich nicht auf morgen“ wurde zum Motto der Generation „leg mich flach, aber rühr mich nicht an“.
Was ein wenig beleidigt klingt ist die Zusammenfassung von 365 Tagen Singlesein im fortgeschritten Tinderalter. Ich durfte in dieser Zeit so viel spannende Dinge lernen und unglaublich viele tolle Menschen treffen, dass ich es wirklich nicht bereue jemals auf Tinder gewesen zu sein, aber die besten Begegnungen schenkt einem das Leben, so ganz ohne links-rechts Arithmetik.
Zurück zur Unverbindlichkeit des Seins.
Ein wunderbarer Film zum Thema Verbindlichkeit in der Liebe ist „Was nützt die Liebe in Gedanken„. Sehen wir einmal von der unglaublich jungen Anna Maria Mühe ab, die damals wie heute jede Sünde wert ist, handelt dieser Film doch vom genauen Gegenteil der heutigen Belanglosigkeit der Zweisamkeit; Junge Menschen die bereit sind, für ihr Ideal der Liebe (egal ob männlich oder weiblich) zu sterben. Würde man die Maßstäbe dieses Films auf die heutige Zeit anlegen, dann müssten sich Männer, Frauen und genderneutrale Persönlichkeiten reihenweise die Kugel (#nonraffaello) geben.
Polyamouröse Liebe
Die Lösung aller Beziehungsprobleme der heutigen Zeit hat einen Namen –
polyamouröse Liebe.
If you wanna be happy for the rest of your life, make a poly girl to your wife. Was unsere Väter noch mit ugly im Songtext kannten ist heute poly. Die Ideallösung der Unverbindlichkeit ist die polyamouröse Liebe. (bei Wikipedia ist natürlich erklärt was es ist: https://de.wikipedia.org/wiki/Polyamorie)
Wenn etwas für die Unentschlossenheit in Sachen Liebe steht, dann ist es der Trend zur Viellieberei, denn nichts anderes bedeutet Polyamorie.
Wobei, wenn Menschen dies mit ganzem Herzen und wirklicher Entschlossenheit leben, dann ist es mehr als eine Flucht aus der engen Gegenwart der, immer noch, konservativen Vater, Mutter, Kind Idylle der urbanen Vorstadthölle, dann ist es ein mutiger Schritt zu einem Leben in dem Partner dazu stehen sich eben nicht auf einen Menschen festlegen zu können oder zu wollen, aber dennoch echte Gefühle für mehr als einen Mensche zu empfinden.
Besser als Swingerclub addicted
In Zeiten von Tinder und Co. ist es aber eher trendy sich mit dem Glitter des polyamoren Geistestzustand zu umgeben, schlicht weil es besser klingt als Swingerclub addicted zu sein.
Es ist eben so schön einfach, sich in das Leben von Menschen zu swipen und sich dann, wenn es eben mal etwas holpriger wird, davon zu stehlen, was heute als ghosten bekannt ist.
Menschen wollen sich heute, vor allen in den von Möglichkeiten überbordenden Metropolen, nicht mehr festlegen. Das schnelle Abenteuer und die fixe WhatsApp-Absage sind der Zeitgeist einer Generation von Unentschlossenen die sich vor nichts mehr scheuen als vor der Verantwortung gegenüber ihren Mitmenschen.
Wir sind alle nicht frei von diesem Zeitgeist der Unverbindlichkeit, aber wir sollten uns eher davon lösen, als ihn weiter zu einem allgemein gültigen Standard für den Umgang miteinander zu machen.
Bild: Adobe Stock
Support: T. aus B. – Many thanks
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