Der SPIEGEL-Redakteur Daniel Raecke findet es nicht gut, wenn Moderatoren in ARD/ZDF im Zusammenhang mit der Fussballnationalmannschaft von WIR sprechen. In seinem Artikel bei Spiegel.de – EM-Euphorie: Warum „wir“ nicht Europameister werden – bezieht sich der Autor darauf, dass in Deutschland ca. 16,4 Millionen Menschen gibt die einen Migrationshintergrund haben. Was den Eindruck erweckt, dass diese Menschen keine deutsche Staatsbürgerschaft hätten, was nicht korrekt ist (laut Wikipedia haben ca. 7 Millionen Menschen keine deutsche Staatsbürgerschaft in Deutschland), aber hier auch wenig zum eigentlichen Sachverhalt beiträgt.
Die kollektive WIR – Schuld
Es geht darum Rücksicht zu nehmen auf die Menschen die unsere Nationalmannschaft nicht unterstützen, weil sie keine, ja was eigentlich, keine Deutschen durch Geburt sind? Was ist das für eine Logik? Ich muss kein Deutscher sein um für die DFB-Elf zu sein, aber auch darum geht es Daniel Raecke nicht, es geht ihm darum, dass positive deutsche Nationalgefühl schlechtzureden, eine Eigenschaft die besonders häufig bei Menschen mit einer eher links ausgelegten politischen Meinungsbildung besonders stark ausgeprägt ist und als politisch korrekt gilt. Die Fahne, welche für Einigkeit und Recht und Freiheit steht, ist nicht gut, die Hymne ist nicht gut, Stolz auf Deutschland sein ist nicht gut und WIR-sein ist auch nicht gut, weil damit alle Nichtdeutschen in ihren Gefühlen verletzt werden.
WIR sind nur dann als Deutsche gut, wenn es um das Bekennen der kollektiven Schuld geht. Wenn es um den Holocaust geht ist die Verwendung von Wir in allen Medien, auch beim Spiegel kein Tabu. Es ist in Ordnung, wenn sich das WIR auf etwas Negatives bezieht. WIR ist dann gut, wenn das WIR das Nationalgefühl in Zusammenhang mit negativen historischen Ereignissen bringt. Ein positives WIR möchte Herr Raecke nicht gutheißen.
Das WIR der Anderen
Dieses WIR-Gefühl musste sich in Deutschland erst entwickeln, wir haben es von eben jenen Menschen gelernt die Herr Raecke schützen möchte (vor wem eigentlich genau). In meiner Schulzeit gab es noch keine Menschen mit Migrationshintergrund, in den 80er Jahren nannten wir die Ausländer. Die Ausländer freuten sich bei Fußballweltmeisterschaften wenn ihre Mannschaft gewonnen hatte und sie hatten auch kein Problem in ihren Lokalen eine Fahne ihres Herkunftslandes aufzuhängen. Für Deutsche nahezu schier unvorstellbar, eine Fahne in einem Restaurant, da schlich sich gleich der Verdacht ein man sei ein Nazi.
Meine Mitschüler aus anderen Ländern der Erde hatten und kannten kein Schuldgefühl, sie wuchsen in Haushalten auf in denen der Sieg über die Nazis gefeiert wurde. In Familien die Opfer gebracht haben im Krieg und heute dennoch in Deutschland leben und in ihren Heimatländern als Deutsche gelten, weil sie hier geboren sind. Sie tragen den Stolz auf die Herkunftsländer ihrer Eltern im Herzen und das ist nicht falsch. Wobei viele meiner Mitschüler lieber der deutschen Elf die Daumen drückten als der Mannschaft von Oma und Opa aus Portugal, aber freuen konnte man sich eben besser über die Siege der „Heimat“, weil die Deutschen lieber schwiegen.
Wir Deutsche haben unglaubliches Leid über Europa gebracht, wir tragen die Schuld an der Vernichtung von Juden, Sinti, Roma, Kommunisten, Behinderten, Christen, einfach allen Menschen die durch die Nazis umgebracht wurden. Dieses WIR begleitete mich durch meine gesamte Schulzeit, und auch heute ist dieses Schuld-WIR immer präsent. Es ist nicht verkehrt dieses Schuld-WIR zu kennen, denn es erlaubt es uns auch die Verbrechen anderer Staaten an Minderheiten anzusprechen. Sie bewahrt uns vor Fehlern und hilft uns fremdenfeindliche Propaganda von links und rechts blosszustellen.
Der Umgang mit unserer Schuld ist nicht verkehrt, sie darf aber nicht dazu verwendet werden die positiven Seiten unseres Landes nicht sehen zu dürfen.
Das positive WIR haben wir beim Italiener, beim Jugoslawen (die hießen früher so) und beim Türken kennengelernt und es auch immer ein wenig beneidet. Wenn sie ihre Hymnen mit Inbrunst sangen, dann wurde klar die sind stolz auf ihr Land. Früher gab es in deutschen Stadien eher kollektives Schweigen bei der deutschen Hymne.
Erst mit der WM2006 platze der Knoten so richtig, als alle anderen Nationen fröhlich feierten, wurde auch aus Deutschland eine fröhliche und stolze WIR-Nation. Der Moment in dem die Mahner sofort an Naziaufmärsche erinnerten und am liebsten alles nationale aus der Öffentlichkeit verbannen wollten und immer noch wollen.
Das Doppel-WIR
Es ist einfach falsch, wenn wir nicht WIR sind, weil die Migranten sind auch WIR. Sie haben das große Glück sich für zwei Mannschaften freuen zu können, und etwas opportunistischer sein zu können. Meine Freunde, Bekannte und Arbeitskollegen mit familiären Wurzeln in anderen Ländern sind eben mal WIR-Spanier und dann eben manchmal auch WIR-Deutsche. Sie haben das Glück des Doppel-WIR.
Wenn es nach Herrn Raecke geht, dann dürften wir nicht mal ein WIR haben.
WIR ist gut!
Natürlich stehen nicht 80 Millionen Deutsche hinter der Nationalelf, aber es stehen auch nicht 60 Millionen Italiener hinter der Mannschaft Italiens. Es ist vollkommen absurd nicht von WIR zu sprechen, wenn es um den populärsten Sport in Deutschland geht. Es ist eine Identifikation mit einem Land in das jedes Jahr hunderttausende Menschen einreisen möchten, weil es bei uns besser ist als in ihrer Heimat. Nicht nur weil es bei uns ein besseres Sozialsystem gibt, sondern weil wir frei sind, leben können wo und wir wie wollen. Wir dürfen für Deutschland sein und auch gegen Deutschland, niemand kann uns verbieten unsere Meinung zu sagen. Wir sind ein starkes Land in dem es wichtig ist auch WIR sein zu können, wenn es mal gut läuft. Mit unserem Wir-Gefühl verletzen wir keine Mitbürger die keine deutschen Wurzeln haben, wir verhalten uns nur vollkommen normal so wie sie, die auch immer noch ein bisschen ihr Herkunfts-WIR im Herzen tragen. Wenn jeder sein WIR positiv lebt, dann wachsen wir zusammen. Ein Wir verbindet, es trennt nicht.
WIR werden Europameister 2016!
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